Helmut Reinhardt: Herr Gastmann, Ihr Konzept klingt erschreckend einfach, aber glauben Sie wirklich, dass das in einer von Lobbyisten geprägten Politik in irgendeiner Form durchsetzbar ist?

 

Technisch umsetzbar ist es ganz simpel, und jede politische Durchsetzbarkeit ist immer "nur" eine Frage des Willens der Mächtigen. Bei Lobbyisten kommt es auf deren Interessen an. Nehmen wir z.B. die Lobby der ca. 85.000 Steuerberater: Sie hassen das Bandbreitenmodell (BBM), weil es nichts mehr zu beraten gibt. Die Frage "was muß ich tun, um Steuern zu sparen?" entfällt, weil im BBM weder Einkommen noch Gewinne besteuert werden. Der konkrete Gesetzentwurf des BBM kommt mit nur 3 Seiten Gesetzestext aus. Das ebenso sinnlose wie unreformierbare heutige Steuerrecht mit seinen 118 Steuergesetzen, 96.000 Steuerverordnungen und unzähligen Finanzgerichtsurteilen landet, wo es hingehört: Auf dem Müllhaufen der Geschichte. Nicht nur, weil es niemand versteht und akzeptiert, sondern auch, weil es im Unterschied zum BBM seine Hauptaufgabe noch nie erfüllte, nämlich den Staat ohne Schulden zu finanzieren. Damit sind wir bei einer weiteren Art von Lobbyisten, nämlich denen, die von Staatsaufträgen profitieren. Für sie gibt es nichts besseres als das BBM, weil damit der Staat über Budgets verfügt, die bisher unvorstellbar waren.

Gewerkschaften hassen das BBM, weil es sie überflüssig macht, indem es ihre Ziele erreicht. Warum sollte noch jemand in einer Gewerkschaft bleiben, wenn es mit dem BBM weder Arbeitslosigkeit noch Niedriglöhne gäbe? Beispielsweise lehnt es IG-Metall-Chef Huber strikt ab, sich mit dem BBM auseinanderzusetzen - ohne Begründung. Das ist wie mit Zahnärzten, die sich kaum für eine Pille begeistern könnten, mit der man Karies und Parodontitis ein für alle mal heilen könnte. Gewerkschaften sind mittlerweile leider nur noch Lobbyisten in eigener Sache, die gegen die globale Lohnkonkurrenz und die Macht der Arbeitgeber nichts ausrichten können und stattdessen Scheingefechte führen.

Wenn Unternehmerlobbyisten wie BDA, BDI, DIHK, INSM, DIW, Wirtschaftsweise etc. über das BBM nachdenken, zerreißt es sie. Einerseits verlieren sie die Macht über den Arbeitsmarkt und ihre bequeme Verhandlungsposition gegenüber Bewerbern. Andererseits profitieren auch Unternehmen durch eine enorm steigende Kaufkraft und steuerfreie Gewinne.

Letztendlich darf ein Konzept, das die existentiellen Probleme lt. bandbreitenmodell.de/handlungsdruck lösen kann, nicht an Lobbyisten scheitern. Alle Parteien sind aufgerufen, das BBM in ihr Programm aufzunehmen. Einige Kleine haben es bereits getan. Mit zwei Bundestagsabgeordneten (MdB) der CDU sprach ich persönlich darüber. Es scheiterte allerdings bisher am alten Denken gemäß Prof. Dietrich Dörner: In ihren vertrauten Gedankengebäuden fühlen sie sich wohl. Da wollen sie nicht heraus, selbst wenn es brennt. Der Paderborner CDU-MdB C.L. vertrat mir gegenüber die Philosophie, daß möglichst jeder Mensch arbeiten muß, selbst wenn es nicht genug Arbeit gibt. Wer nicht arbeite, müsse arm sein, und kurze Wochenarbeitszeiten lehnte er mit der Begründung ab, daß dann das Scheidungsrisiko steige. Die Erfurter CDU-MdB A.T. erklärte mir, es gäbe keinen Arbeitsplatzmangel, sondern einen Arbeitskräftemangel. Zudem sei die Staatsverschuldung bald kein Problem mehr, weil die Schuldenbremse, an der sie selbst mitgewirkt hat, das Problem löse. Was soll man dazu sagen? Ein MdB betrachtet Arbeit als Fetisch, und eine andere setzt auf einen Schildbürgerstreich. Von der Grünen-MdB S.K.-U. erhielt ich einen bösen Brief, man möge sie nicht mit Wirtschaftsfragen belästigen. Bundestagspräsident Lammert schrieb, daß sich die MdB bei Themen, von denen sie keine Ahnung haben, den Vorgaben von Gremien anschließen. Insgesamt waren meine Erfahrungen mit dem Bundestag sehr ernüchternd. Es kann aber durchaus sein, daß im Angesicht des drohenden Machtverlusts bei der einen oder anderen Partei das eine oder andere Denkverbot fällt. Dann ist das BBM sehr schnell durchsetzbar. Die Revolution muß übrigens nicht in Deutschland beginnen. Ich glaube, das BBM wird zuerst in Frankreich kommen, vielleicht auch in Spanien.

 

Helmut Reinhardt: Sie scheinen bezüglich der Einführung des Bandbreitenmodells sehr optimistisch zu sein. Ich habe allerdings die Befürchtung, dass es vorher noch zu massiven Kämpfen auf den Straßen kommen wird. Die Demonstrationen in Griechenland und Spanien sind kaum Thema in deutschen Medien, obwohl dort zehntausende Menschen protestieren. Meinen Sie wirklich, die Mächtigen und Profiteure des derzeitigen Systems lassen sich so einfach die Butter vom Brot nehmen?

 

Wenn man bandbreitenmodell.de/handlungsdruck liest, wird klar, daß es nicht einmal eine theoretische Chance gibt, daß unser System Bestand haben kann. Ganz im Gegenteil kommt der Crash zwangsläufig. Das Tückische dabei ist, daß es in Zeitlupe abwärts geht. Das führt bei den eigentlichen mächtigsten Menschen der Welt - den Wählern - zu der Illusion,  es würde immer irgendwie weitergehen. Wer jedoch nachdenkt, die Entwicklung in die Zukunft extrapoliert und alle Faktoren wie 2 und 2 zusammen zählt, wird als Katastrophenmaler geschmäht.

Nehmen wir als Beispiel das Rentensystem: Die heutigen über 20 Mio. Rentner müßten theoretisch von den Beiträgen der rd. 26 Mio. sozialversicherungspflichtigen Vollzeit-Beschäftigten leben. Wir sind also heute bei 1,3 Beitragszahler pro Rentner. Trotz hoher Beiträge und niedriger Renten reicht das bei weitem nicht. Der Staat muß daher aus dem Staatshaushalt ein Drittel zuschießen. Das ist Geld, das er gar nicht hat. Seit Gründung der Bundesrepublik gab es kein einziges Jahr ohne zusätzliche Staatsschulden. In keinem einzigen Jahr sank der Schuldenpegel. Wenn man die Beitragszahler und Rentner von morgen - die ja beide in der Geburtenstatistik des Statistischen Bundesamts stehen - einfach mal gegenüberstellt, wird klar, daß in 30 Jahren 2 Rentner auf 1 Arbeitnehmer kommen - bei einer sinkenden Zahl echter Arbeitsplätze und einem sinkenden Lohnniveau bei der Masse der Beitragszahler. So lange 2 plus 2 vier ergibt, wird das Rentensystem kollabieren bzw. zu absurd niedrigen Renten führen.

Gleiches gilt für Staatshaushalte, die immer bankrotter werden. Die USA sind bankrotter als Griechenland. Sollten sie eines Tages ihre Ölrechnung nicht mehr mit selbst gedruckten Dollars bezahlen können, sind die USA volkswirtschaftlich tot. Stellen Sie sich die USA ohne Ölimporte vor. Ohne bezahlbare Energie für Transporte, Industrie, Computer, Klimaanlagen und Heizungen. Das Land geht unter. Japan ist ebenfalls weit bankrotter als Griechenland. Belgien ist pleite, ebenso Großbritannien, Italien, Spanien, Portugal, Frankreich und natürlich auch Deutschland mit einem Schuldenstand von bald 4 kompletten Jahres-Steuereinnahmen. Das ganze Kreditkartenhaus bricht nur deshalb noch nicht zusammen, weil die Profiteure des heutigen Systems deren Gläubiger sind, die keine Alternative haben. Sobald sie den Schuldnern keine neuen Kredite mehr geben, verlieren sie die alten, siehe Euro-Rettungsschirme. Die Profiteure des heutigen Systems betreiben ein schmelzendes Schneeballsystem, von dem sie wissen, daß es auf Dauer gar nicht funktionieren kann, siehe Kenneth Bouldings Unmöglichkeit exponentiellen Wachstums.

Die Profiteure sind allerdings nicht unbedingt mit den Mächtigen gleichzusetzen. Alle Macht geht tatsächlich vom Volke aus, in Demokratien von den Wählern. Das Volk nutzt seine Macht nur nicht. Stattdessen haben viele resigniert, und die Mehrheit die Wähler glaubt mit einem geradezu kindlich-naiven Urvertrauen, die Regierungsparteien könnten sich ewig durchwursteln oder gar die Probleme lösen, zu deren Verursachern sie selbst gehören. Der entscheidende Teil des Volkes läßt sich von Systemmedien lenken, die das heutige System als alternativlos propagieren. Die Systemmedien sind nicht frei, sondern befinden sich im Eigentum von System-Profiteuren. Peter Scholl-Latour meinte dazu: "Die Freiheit der Presse im Westen, wobei die viel besser ist als anderswo, ist letztlich die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu veröffentlichen." Diese kleine Gruppe von Leuten sind die eigentlich Mächtigen. Mr. Murdock, Frau Springer, Frau Mohn, Herr DuMont, Familie Holtzbrinck & Co. leben allerdings unter einem Damoklesschwert. Sie wissen, daß sie ihre Macht und ihr Vermögen verlieren, wenn ein drittes, systembedingtes Problem unbeherrschbar wird: Das Auseinanderreißen der Schere zwischen Arm und Reich.

In der Geschichte der Menschheit hat keine Oberschicht überlebt, wenn ein zu großer Teil der Bevölkerung das System nicht mehr trägt, sondern bekämpft. Die Aufstände in der arabischen Welt sind weniger Demokratie- als viel mehr Armutsrevolten, und die meisten Mächtigen wurden dabei hinweggefegt. Die bisher noch sehr dezenten Proteste in Griechenland und Spanien sind Armutsproteste, die ihre Regierungen wegfegen. In Deutschland wird das Volk 2013 Union und FDP aus dem Bundestag fegen, und 2017 werden SPD und Grüne weggefegt, weil sie ebenso ratlos sind wie Frau Merkel, die 2006 tatsächlich sagte "Auf die eigentlich bedrängenden Fragen haben wir keine Antworten." Mit BBM bleibt Frau Merkel Kanzlerin. Mit BBM können Medienmogule und Großkapitalbesitzer wieder ruhig schlafen, weil es dem Volk so gut geht, daß kein Aufstand zur Debatte steht. Das BBM wird zwangsläufig kommen - oder ein System, das die Probleme unter bandbreitenmodell.de/handlungsdruck noch besser lösen kann. Die Frage ist nur, wann und wo das System gewechselt wird. Das kann Deutschland sein, sobald die beiden Drittel der Bevölkerung, die heute von weniger als 1.250 € netto leben müssen, erkennen, daß es eine Alternative gibt. Das wird aber eher bei den Franzosen geschehen, die einfach mehr Rebellionsbereitschaft im Blut haben als die obrigkeitsgläubigen Deutschen.

 

Helmut Reinhardt: Herr Gastmann, kommen wir zurück zum Bandbreitenmodell.

Würde sich denn das Geld in ihrem System breiter verteilen? Würde es eine Geld- und Machtkonzentration in den Händen weniger verhindern?

 

... wird in Teil 3 fortgesetzt.

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